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Laudationes des Global Peace Photo Awards 2024

Die Laudationes wurden von Jurymitglied Peter-Matthias Gaede verfasst.

Elisa L. Iannacone, Großbritannien: Dreams of Childhood

Sie leiden unter schweren chronischen Nierenkrankheiten oder warten auf eine Herztransplantation: kleine Patienten im Nelson Mandela Kinderhospital, Südafrika. Freiheit, Unbeschwertheit, Spaß – vieles, vielleicht alles, was Kindheit zu Kindheit machen kann, haben sie nicht.

Aber doch bestimmt Begehrlichkeiten, Sehnsüchte, Wünsche, Träume. Nur: Wie sie zum Ausdruck bringen?

Die Fotografin und Multimedia-Künstlerin Elisa L. Iannacone wusste eine zauberhafte Antwort. Sie ist darauf spezialisiert, Visionen von Menschen in aufwendigen Collagen zu visualisieren. Sie ist eine Frau, von der sich sagen lässt, sie könne gebrochene Flügel heilen. Mit magischen Bühnenbildern, in denen sie Verletzten zu neuen Kräften verhilft.

Und eben Träume erfüllt – und sei es nur für Minuten. Alle Kuchen der Welt essen können? Formel-eins-Pilot werden. Diva, Königin des Tanzens. Den Rausch des Karnevals erleben. In die Lüfte entschweben. Kein Problem!

Die Jungen und Mädchen im Mandela-Krankenhaus, dazu auch das Team des Hospitals, wurden von Elisa L. Iannacone entführt. Befreit durch Fantasie und Spiel. Die Betten: plötzlich Requisite in einem Wunderland. Der Schmerz: vom Lachen überwunden. Die Traurigkeit: in Fröhlichkeit verkehrt. Der Kampf: zum Frieden geworden.

Elisa L. Iannacone, in Mexiko als Tochter einer Mexikanerin und eines Kanadiers geboren, hat sich früh als „Übersetzerin“ empfunden. Zunächst für die Eltern, die der Sprache des / der anderen kaum mächtig waren, in ihrer internationalen Fotografinnen-Karriere dann als Stimme der durch Leid Verstummten. Der Opfer von Krieg und sexueller Gewalt. Sie hat Tod und Vergewaltigung, sie hat Zerstörung aus unmittelbarer Nähe und ganz direkt erlebt.

Seither arbeitet sie an Traumabewältigung. Gegen Apathie. Gegen die Mitleids-Ermüdung. Und gegen das Gefühl von gemarterten Menschen, sie seien eine Insel. Sie seien allein. Ihnen will sie Brücken bauen. Zu anderen. Und zu einem neuen Selbstwertgefühl. Sie hofft, ihre Filme, ihr Fotos können Menschen heilen.

Iannacone hat in Toronto und London studiert, hat als Foto-Reporterin in Jordanien und dem Irak gearbeitet, in Ägypten und weiteren Ländern Afrikas. Hat über 75 Länder bereist, blickt auf große Ausstellungen und die Teilnahme an Festivals zurück.

Und wer Videos von ihr sieht, etwa wenn sie fröhlich in einer Steilwand hängt und dabei so gelassen redet wie unsereins höchstens von einem Sofa aus, hat das Gefühl: Dieser dynamischen, dieser so ungebrochen wirkenden, dieser so starken Frau ist zuzutrauen, dass sie noch viele Menschen glücklicher machen kann.

Und ihnen dabei hilft, trotz aller Schicksalsschläge Frieden zu finden.

Maryam Saeedpoor, Iran: Women, Life, Freedom

Der Hijab, das Kopftuch. Ein Bekleidungsstück ist zu einem zentralen Symbol für etwas geworden, das man anderswo vielleicht eher harmlos „Geschlechterdebatte“ nennen würde. Im Iran aber zu einem Stück Stoff, das für Kulturgeschichte, politischen Kampf, Unterdrückung oder, bei Verzicht, auch Widerstand und Auflehnung steht. Ist er Tradition? Oder nicht wirklich? Sollten Frauen darüber entscheiden können? Oder darf es eine Religionspolizei tun? Geht eine Gesellschaft zur Tagesordnung über, wenn eine junge Frau, deren Kopftuch verrutscht war, im Gefängnis stirbt? Oder wird das den Anfang vom Ende eines Regimes alter Männer bedeuten?

Ist die berühmte Parole iranischer Frauen, „Women, Life, Freedom“, noch einmal aus der Erinnerung zu löschen? Oder wird sie zu einem Fanal werden, das auch im Iran einen neuen Frieden schafft?

Wer im Iran als Fotograf, als Fotografin tätig ist, hat es mit ganz anderen Rahmenbedingungen zu tun als Fotoreporter bei uns. Mit einem anderen Verständnis von der Aufgabe von Medien. Mit einer anderen Art, über Fotografie zu sprechen. Es geschieht dort gewissermaßen übersetzt, oft in Kunstprojekte überführt. Mit Andeutungen. Mit Symbolik. Offen für Interpretation. Und doch zugleich deutlich.

Zu dieser Kunst haben es bemerkenswert viele Fotografinnen und Fotografinnen aus dem Iran gebracht. Und eine der Mutigsten von ihnen ist Maryam Saeedpoor, 1984 in Teheran geboren. Mit 16 schon Teilnehmerin an einem Jugend-Art-Festival, mit 21 bei einer Gruppen-Show mit Malerei des „Realismus und Hyper-Realismus“ vertreten, später in diversen Ausstellungen etwa auch in Kalifornien, der Türkei, in Deutschland und Japan.

Zu einer ihrer Fotoarbeiten, die sie „pulsierende Wut“ genannt hat, schreibt sie: „Wir weinen Tränen aus Blut“. Und „Wir klagen“.

Die Arbeit, die wir ausgezeichnet haben, zeigt das Haar von Frauen. Und Verschleierung. Ein Versteckspiel, ein Aufbegehren, eine Ambivalenz. Vor dem Hintergrund berühmter Teppichkunst, gebrochen von Farben des Aufstands und der Renitenz. Eine Spielerei, könnten wir glauben. Und doch zugleich wissen, dass es das nicht für alle ist.

In einem Interview wurde Maryam Saeedpoor gefragt, wie vieldeutig ihre Arbeit sei. Sie antwortete: Sie liebe Mehrdeutigkeit. Sie ermögliche es den Betrachtern, über ihre eigenen Tagträume zu reflektieren. Sich mit ihrer eigenen Geschichte einzuordnen.

Denn weiter könne sie nicht gehen. Sie wandele als Fotografin auf einem heiklen Pfad, verspüre den inneren Zensor und wisse nie, wann sich das Auge des Regimes auf sie richte.

Ihr Credo, ihre Ambition und ihr künstlerisches Vermögen werden gleichwohl deutlich. Und das zeichnen wir aus. Mit den subtilen Mitteln, die sie hat, versucht Maryam Saeedpoor, an einem friedvolleren Leben und für die Anerkennung der vielen großartigen Frauen Irans zu arbeiten.

Danila Tkachenko Russland (Italien): Umkehrung – Inversion

Eine heil anmutende Welt mit dem Krieg konfrontieren. Oder: Den Bewohnern europäischer Städte zeigen, weshalb so viele Flüchtlinge bei ihnen sind. Und vor was sie geflohen sind. Das will der in Russland geborene, im italienischen Exil lebende Fotograf Danila Tkachenko.

Dafür hat er in Kooperation mit neun Fotojournalisten deren Bilder von zerstörten Gebäuden in der Ukraine zu großformatigen Erinnerungstafeln gemacht – und diese vor Touristen-Attraktionen wie den Mailänder Dom, das Brandenburger Tor in Berlin, die Rialto-Brücke in Venedig, den Pariser Eiffelturm, das Colosseum in Rom gestellt.

Jeweils davor: eine Frau, ein Kind, auch ein paar wenige Männer, die sich vor dem Krieg in der Ukraine nach Westeuropa gerettet haben: eine 92-jährige ehemalige Lehrerin, einen 32-jährigen Rechtsanwalt, ein 25-jähriges Model, ein siebenjähriges Mädchen, eine 30-jährige Immobilien-Maklerin, eine 60-jährige Zahnärztin.

Da stehen sie nun vor Bombenkratern, eingestürzten Wohnhäusern, verbrannten Parklandschaften, den Trümmern von Kirchen und Schulen. Vor Bildern einer aufgewühlten, einer zerschossenen Heimat.

Sieht so Frieden aus? Nein, natürlich nicht. Es ließe sich deshalb fragen, warum wir Tkachenkos Arbeit ausgerechnet beim Global Peace Photo Award ausgezeichnet haben. Wir haben es getan, weil seine Bilder ein Schrei nach Frieden sind. Ein Hilferuf. Und weil es leider so ist, dass sich selbst unter den Einsendungen zu unserem Wettbewerb die Sehnsucht nach Frieden häufiger manifestiert als das Erreichen des Friedens.

Tkachenko, 1989 in Moskau geboren, will, dass diese Sehnsucht nicht vergessen wird. Mit höchsten internationalen Auszeichnungen reichlich geehrt, hat er sich, als er es noch konnte, intensiv mit russischen Themen befasst. Dem Tod von Dörfern nach der Zwangskollektivierung, der Flucht von Menschen in die Einsiedelei, den militärischen Anlagen mit Zutrittsverbot. Bis 2014 wurden seine Arbeiten noch in Russland gezeigt. Es ist Russland zu wünschen, dass kluge Köpfe wie er eines Tages zurückkehren wollen und können. Die russische Gesellschaft braucht Menschen wie ihn.

Antonio Aragón Renuncio, Spanien: The Dancer

Preisträger Einzelbild

Ivan, acht Jahre alt, strahlt in Vorfreude auf eine neue Orthese, die seinen Bewegungsapparat stabilisieren soll. Eine kleine Szene aus dem Don Orione Center in Bonoua, Elfenbeinküste. Hier werden Menschen mit physischen Handicaps, etwa angeborenen Klumpfüßen, operiert und medizinisch und psychologisch betreut. Auch eine Reha-Abteilung und ein Ausbildungszentrum für Handwerker-Berufe sind angeschlossen.

Das Don Orione Center spielt zugleich eine wichtige gesellschaftliche Rolle bei der Aufklärung über Krankheiten und vor allem Behinderungen, die in afrikanischen Ländern nicht selten als so unheimlich empfunden werden, dass den Betroffenen unterstellt wird, sie seien von Dämonen besessen oder verfügten über dubiose übernatürliche Kräfte.

Der spanische Fotograf Antonio Aragón Renuncio ist der Fotograf dieses Glücksmomentes des kleinen Jungen, in dem sich ein persönlicher Sieg über das Schicksal ankündigt.

Wobei wir nicht die Einzigen sind, die diesen Fotografen würdigen möchten. Renuncio blickt auf fast schon nicht mehr zählbare internationale Veröffentlichungen und Auszeichnungen zurück, hat selber eine Hilfsorganisation zur Unterstützung medizinischer Projekte am Golf von Guinea gegründet. Er hat Fotografie an verschiedenen Universitäten gelehrt und eine Fotografen-Vereinigung gegründet. Er war Chefredakteur eines Magazins in Nicaragua und hat Festivals organisiert.

Über das Don Orione Center schreibt Renuncio: Was die kleinen Patienten hier erfahren, werde ihnen ermöglichen „to leave the floor“. Werde ihnen erlauben, aufzustehen. Und das nicht nur physisch. Mit anderen Worten: Renuncio hat uns das Bild eines Augenblicks geschenkt, in dem ein Kind vielleicht Frieden machen kann mit all den Einschränkungen und Qualen, die es erfahren hat.

Daria Heß, Deutschland: Happiness

Kinderfriedensbild des Jahres

„Für mich bedeutet Frieden, glücklich sein zu können und einverstanden mit dem Leben – selbst wenn Du auch Sorgen und Ängste kennst. Frieden bedeutet die Kraft zu haben, sich mehr von den schönen Dingen als von den Schwierigkeiten leiten zu lassen.“ Das hat Daria Heß unter ihr Foto geschrieben, das sie uns aus Hamburg sandte.

Und was sie meint, sehen wir auf diesem Foto visualisiert. Daria ist 15 Jahre alt und scheint eine Menge Interessen und Optionen zu haben. Wer ein bisschen googelt, findet ihren Namen auf Gewinner-Listen von Schulschach-Turnieren und Mathematik-Olympiaden ebenso wie auf Teilnehmer-Listen von Schwimm-Wettbewerben. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen, wie Darias Vater sagt, ist Daria soeben für ein Jahr auf ein englisches Internat gewechselt. Das klingt schon sehr professionell.

Das Wort Glück hat Daria mit dem Wort Selbstbestimmung kombiniert. Und beide mit dem Wort Frieden.

© Peter-Matthias Gaede für den Global Peace Photo Award, September 2024

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